Woke Zana Ramadani Peter Köpf - Buch WOKE, wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht

Journalisten sind keine Aktivisten

5 Min.

Peter Köpf für die Vereinigung Europäischer Journalisten, 1.11.2023

Die New York Times (NYT) hat sich nie lang geziert, dem Zeitgeist Raum zu geben. Schon 1987 hat das Blatt das Wort homosexual gegen das viel vergnüglichere gay getauscht. Vor zehn Jahren verwandelte Gill Abramson als Chefredakteurin den Old Boys Club in ein „feministisches Paradies“ (taz). Zuletzt galt das ehrwürdige Haus als durchaus woke und Sternchen aller Gender überaus gewogen.

Ausgerechnet die New York Times sah sich zu Beginn dieses Jahrs Vorwürfen der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD) ausgesetzt, unverantwortlich und voreingenommen über Transgender-Personen zu berichten. Konkret ging es um das Für und Wider geschlechtsverändernder Operationen. GLAAD beklagte „Angstmache“ und „böswillige Berichterstattung“, die „schädlich für alle LGBTQ-Personen, insbesondere für unsere Jugend“ sei. Cisgender-Autoren und -Redakteure der Times seien „nicht in der Lage, Transmenschen und ‑themen genau zu behandeln“. Deshalb empfahlen sie Neueinstellungen: „Lasst es Transmenschen machen.“ Dass sich dieser Klage eine beträchtliche Gruppe von Mitarbeitern der NYT anschlossen, ist verstörend.

Leider versteht sich auch in Deutschland ein wachsender Teil des journalistischen Nachwuchses als „Aktivist*in“. Beschämend, dass eine Journalistin in linken Medien schreiben darf, die twittert: „Grammatik und Rechtschreibregeln sind ein kolonialrassistisches tool von white supremacy um BIPoCs zu unterdrücken don‘t @ me.“ Ein Einzelfall? In einem Verlag werden Pflanzen zu „Superheld*innen, die Verdi-Mitgliederzeitung berichtet von Rentenversicherungsträger*innen, RBB-Radioeins von Samenspender:innen, die ZEIT von „Witwerinnen und Witwern“. Das lachen wir weg. Aber (Dokumentar‑)Filmschaffende von Produzent bis Drehbuchautorin beklagen „Diversity Checklists“ und vorauseilenden Gehorsam gegenüber den queeren Kämpfern in den Redaktionen. Das neue Berufsbild „Sensitivity Reader“ verändern Buchmanuskripte und Drehbücher.

Selbst schwule Männer wie Florian Greller kritisieren die „Omnipräsenz von queeren Themen“ im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Viele Menschen seien „offenbar einfach nur noch genervt davon, dass sie gefühlt permanent damit konfrontiert werden“. Für derartige Einschätzungen wird er im Regenbogen als „Nazi“ bezeichnet.

Dass in den Sendern mit Sternchen und Glottisschlag gegendert wird, missbilligen – je nach Umfrage – zwei Drittel bis drei Viertel der Gebührenzahler. Was die Sprachaktivisten, die von deren Geld leben, nicht im Geringsten beeindruckt. Wenn dann noch Angestellte des ZDF „Ideologie“ und „Antifeminismus“ erkennen, wenn „Familie als Stütze der Gesellschaft“ angesehen wird, dann verabschiedet sich ein Sender von seinen Zuschauern. Wenn auf der Webseite der Tagesschau in einem Beitrag über einen Gesetzentwurf des Familienministeriums die Formulierungen „entbindende Person“ und „gebärende Person“ erscheinen, dann schüttelt das Publikum den Kopf.

Glaubwürdig ist nicht, was ZDF-Chefredakteur Peter Frey gegenüber der Deutschen Presse-Agentur behauptet: „Was uns unterstellt wird, nämlich dass wir in erzieherischer Absicht auf das Publikum einwirken, entspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit.“ Dann ist es eben eine Kapitulation – vor einer aktivistischen Minderheit und deren Wortgewalt in den sogenannten sozialen Medien. Vor allem jüngere Frauen hätten „nach der Uni selbstverständlich ihre Sprechweise hier eingebracht“, sagte Frey bedauernd. „Ich fühle mich damit auch nicht wohl. Aber sollte ich das verbieten?“

Warum eigentlich nicht? Es hätte aber auch genügt, auf die deutschen Rechtschreibregeln hinzuweisen, denen gerade Journalisten verpflichtet sein sollten – wie auch alle, die derzeit in Verwaltungen, Hochschulen und anderen staatlichen Einrichtungen glauben, den Sexismus abschaffen zu können, indem sie die Sprache in einer Waschmaschine schleudern.

Dass auch die Parteien sich der ideologischen Identitätspolitik verpflichtet fühlen, hat Folgen. Wenn selbst die Unionsparteien für Queer-Beauftragte votieren (Koalitionsvertrag Berlin) und einen „Queer-Aktionsplan“ (Söder) für nötig halten, verprellen sie ihre Wählerschaft. Die Wahlerfolge der AfD sind nicht allein der Migration geschuldet.

In der NYT erinnerten Chefredakteur Joe Kahn und die Leiterin des Meinungsressorts Katie Kingsbury die Kritiker aus dem Haus, dass die ethischen Richtlinien des Hauses es Mitarbeitern untersagen, sich mit Interessengruppen zu verbünden. Auch unter deutschen Journalisten wäre es hilfreich, wenn sie anerkennten: Journalisten haben andere Aufgaben als Aktivisten.

Dieser Text ist am 1. November 2023 erschienen im Newsletter der Vereinigung Europäischer Journalisten e. V.

Das Buch „WOKE Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“ ist am 29. September 2023 bei Quadriga (Bastei Lübbe) erschienen.


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