„Verspielt Europa nicht!“ Das Buch zur Europawahl 2024 von Elmar Brok mit Peter Köpf
Aus dem Kapitel
„Rückkehr des Nationalismus und die Extremisten von rechts und links“
Während der Studentenunruhen 1968 hörte ich im Deutschlandfunk ein Interview mit Rainer Barzel, der zu dieser Zeit Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag war: „Wir müssen der jungen Generation eine Chance geben“, sagte er. „Die Jugend muss auch mitstreiten dürfen.“ Wenige Wochen später war CDU-Kreisparteitag. Ich wagte mich ans Rednerpult: „Liebe Parteifreunde“, sagte ich und sah Barzel direkt neben mir sitzen, „vor ein paar Wochen habe ich von unserem Abgeordneten vernommen, man solle jungen Menschen eine Chance geben. Ich wollte das heute einmal testen.“ Nur mit diesen Worten bewarb ich mich um einen Sitz im CDU-Kreisvorstand und war 30 Minuten später gewählt. Ein halbes Jahr später ließ Barzel mich nach Bonn bestellen. Im Vorzimmer seiner Sekretärin, die später als Stasimitarbeiterin entlarvt werden sollte, wartete ich auf Einlass. Nach einer Weile ging die Tür auf, und Barzel kam mit einem Franzosen heraus, mit dem ich selbst später viel zu tun haben sollte: Valery Giscard d’Estaing. Noch beeindruckt von dem kurzen Gespräch mit dem ehemaligen Finanz- und Wirtschaftsminister de Gaulles, der zu dieser Zeit Abgeordneter der Nationalversammlung war, saß ich endlich in Barzels Büro, wo er fragte, ob ich ihm im Wahlkampf helfen wolle. Ich wollte. Wenige Wochen später überreichte er mir einen großen Stapel Material über die NPD, die damals in mehreren Landtagen vertreten und auf dem Sprung in den Bundestag war, und sagte: „Sie machen hier im Wahlkreis einen knallharten Wahlkampf gegen die NPD – auch wenn uns das die Macht kostet.“ Unser Land und die Demokratie, sagte er, müssten immer vor der Partei stehen. Dass die NPD 1969 nicht in den Bundestag kommt, war ihm wichtiger als die Folgen eines möglicherweise schlechten Wahlergebnisses. Die NPD verfehlte mit 4,3 Prozent ihr Ziel. Aber es trat auch ein, was Barzel befürchtet hatte: Wäre die NPD auf 5 Prozent gekommen, hätte die FDP sich für die Union (46,1 Prozent) entscheiden müssen; für eine sozialliberale Koalition hatte es nicht gereicht. Dass Barzel, der mein politischer Vater war, den Kampf gegen die Rechtsextremen und deren Nationalismus und Rassismus so klar priorisierte, hat mich geprägt – und das wirkt bis heute. Bei Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat muss alles Taktieren ein Ende haben.