Theodor Heuss als Publizist 1933 bis 1945

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Die FAZ behauptet: „Der Journalist Heuss hatte Publikationsverbot.“ Welch ein Irrtum

Ein Leserbrief an die FAZ von Peter Köpf, gedruckt am 25.9.2020, hier ungekürzt

In der FAZ vom 18. September finde ich den Beitrag von Rüdiger Soldt über die „Wiedergeburt des Liberalismus“ im Südwesten Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Über einen der Gründer, Theodor Heuss, ist von dessen tiefer Abneigung gegen den Nationalsozialismus zu lesen, außerdem die Behauptung: „Der Journalist Heuss hatte Publikationsverbot.“ Das ist wohl ein Irrtum, wenn man berücksichtigt, wo und was der spätere Bundespräsident zu lesen war, damals als Theodor Heuß (mit ß).

Heuß, der als Politiker 1933 für das sogenannte Ermächtigungsgesetz zur „Behebung der Not von Volk und Reich“ gestimmt hatte, leitete bis 1936 als Herausgeber das von Friedrich Naumann gegründete Blatt „Die Hilfe. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und geistige Bewegung“. Auf der Webseite der Theodor-Heuss-Stiftung heißt es, etwas treffender, aber dennoch falsch: „1936 Publikationsverbot, Ausscheiden aus der Redaktion und Herausgeberschaft der Zeitschrift „Die Hilfe“. 1937 bis 1942 Veröffentlichungen der Biographien über Friedrich Naumann, Hans Poelzig, Anton Dohrn, Justus von Liebig.“

Das Buch über Naumann durfte laut Anweisung Nr. 129 der Reichspressekonferenz „durchaus positiv besprochen werden“. Und weiter: „Gegen das Buch bestehen keinerlei Bedenken. Es ist von der Partei geprüft worden. Beanstandungen waren nicht nötig. Der Verlag steht dem Prop.min nahe.“

Das war aber nicht alles:

Heuß publizierte während der Herrschaft der Nazis in zahlreichen Blättern, um nur die wichtigsten zu nennen: „Frankfurter Zeitung“, „Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Leipziger Neueste Nachrichten“, „Illustriertes Blatt“ – und auch weiterhin in der „Hilfe“. Dort zeigte er sich 1938 unter der Überschrift „Die mitteleuropäische Problematik“ gleichermaßen hellsichtig und offenbar hoffnungsfroh, „daß geistige und politische Bewegungen, die durch ein Volk gehen, nicht vor den Grenzpfählen halt machen, die einmal von dynastischer Erbgeschichte oder von wechselvollem Kriegsausgang eingerahmt wurden“. Kurz vor dem sogenannten Anschluss Österreichs mahnte er, der deutsch-österreichische Streit sei immer auf das Habenkonto der Gegner gegangen. Prag und Paris werden „sich daran gewöhnen müssen, statt eines Gegensatzes einen volks- und außenpolitischen Gleichklang der beiden deutschen Staaten in Rechnung zu setzen“.

Nachdem der Anschluss Wirklichkeit geworden war, teilte Heuß die großdeutschen Träume der NS-Führung. In einer historischen Abhandlung über das „Werden einer Nation“ beklagt er „die ganze Verwickeltheit des habsburgischen Staatsgebäudes“ und die „innere Lügenhaftigkeit der Verträge von Versailles und Saint-Germain“. Zufrieden kommentiert er am 10. April 1938 in der „Neuen Freien Presse“: „Der Spuk ist vorbei. Großdeutschland ersteht.“

1940 lobte er, ebenfalls in der „Neuen Rundschau“ unter dem Titel „Das Deutschtum im Osten“ Hitlers „Rücksiedlungs- und Neusiedlungsprozeß in die Machtsphäre des Reichs“ (Hitler nannte das „Eroberung neuen Lebensraums im Osten u. dessen rücksichtslose Germanisierung“) „ein großartiges Geschichtsunternehmen“. Ganz Deutschland sei „an diesem Prozeß der Gewinnung und Sicherung des Bodens beteiligt“.

Den Krieg nannte er im selben Jahr in der „Hilfe“ „eine Art von völkischer Flurbereinigung großen Stiles“, durch die „mögliche politische Schwierigkeiten der Zukunft behoben“ sein würden. Er sprach von einem „Führungsanspruch der Deutschen in einer europäische Ordnung“. Für Völkerrechtler erwachse „die anregende Aufgabe, … für die Erweichung des harten Souveränitätsbegriffs … eine elastische Begrifflichkeit zu finden“.

Und so weiter. Mehr Belege aus der Feder des Publizisten Heuß während des „Dritten Reichs“ zitiere ich in meinem Buch „Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse“, erschienen 1995 bei Ch. Links). Was am schwersten wiegt: Heuß scheute sich nicht, seine Artikel in der Wochenzeitung „Das Reich“ drucken zu lassen, deren Leitartikler jede Woche der Propagandaminister selbst war.

Heuß bedient sich dabei nie der bellenden Propagandistensprache , welche die meisten seiner Kollegen angenommen hatte. Aber im April spricht er erstmals von „unseren Gegnern“. Heuß Name findet sich bis 1944 über oder unter Zeitungsartikeln, zuletzt in der Königsberger Allgemeinen Zeitung.  

1989 zitieren Norbert Frei und Johannes Schmitz in ihrem Buch „Journalismus im Dritten Reich“ Theodor Heuss zum Thema „Schreiben zwischen den Zeilen“ folgendermaßen: „Wir waren gewiß überdurchschnittlich besonnene und nüchterne Typen, die das Risiko abgeschätzt haben: (…) Kann ich den Satz riskieren oder streich‘ ich ihn besser? Und das hat natürlich auch seine Reize gehabt, nicht?“

Mehr Fakten über Theodor Heuss und die anderen Gründer der westdeutschen Nachkriegszeitungen, insbesondere deren Tätigkeiten und Taten während der Nazi-Zeit, sind nachzulesen in folgendem Buch: Peter Köpf: „Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse“, Ch. Links Verlag, 1995

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