Nur die Starken können sich einen schwachen Staat schaffen.

Der geniale Mr. Trump …

8 Min.

Viele sagen, Donald Trump ist ein Idiot. Das heißt, er macht dumme Dinge. Manche sagen: Donald Trump ist ein Populist. Das heißt, er sagt und macht Dinge nur deshalb, weil andere sie hören oder haben wollen. Diese abgeschwächte Variante ist kaum besser, attestiert ihm aber mehr Berechnung und damit weniger Dummheit. Ich sage: Donald Trump ist ein Genie!

Das Verrückte ist das Normale

Warum sage ich etwas so offensichtlich Dummes als studierter Politologe? Ganz einfach, ich sage es als Roman-, Kinderbuch und Sachbuchautor. Denn als Autor habe ich einen speziellen Blick auf die Menschen und die Dinge. Abweichung von der Norm als Fehler zu interpretieren, engt den Blick ein. Es macht ihn defizitär und verwandelt Menschen und ihre Handlungen in Störungen, in Fehler, die nach Korrektur schreien. Korrektur durch die Medien, die Wähler, die Kunst, die Gerichte, Freunde, Korrektur durch den falsch Handelnden selbst. Ich dagegen frage mich, wenn ich über reale Menschen nachdenke oder fiktionale baue: Wo ist der Sinn? Was nutzt es ihr oder ihm? Menschen verhalten sich oft nicht richtig, aber fast immer folgerichtig. Der Spiegel-Reporter Claas Relotius versuchte seinen Betrug am Leser mit allen Mitteln zu vertuschen, bis hin zur Beschädigung seines Journalistenkollegen. Das war ganz gewiss nicht richtig, aber es war folgerichtig. Denn nur so konnte er sich, sein System, seine Existenz schützen. Obwohl er ein doch überdurchschnittlich intelligenter Mann ist, machte seine Rationalität ihn zur Geisel seiner Dummheit.

Ja, wo isser denn?

Zurück zu Donald Trump. Fragen wir uns: Wo ist der Sinn? Was nutzt es ihm? Worin liegt der Sinn massiver Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche? Worin liegt der Sinn, fast alle staatlichen Institutionen, insbesondere die Regierung, die Parteien, die Geheimdienste, das Gerichtswesen öffentlich zu desavouieren? Worin liegt der Sinn von Milliardenausgaben für – historisch betrachtet (man denke an den römischen Limes, die Chinesische oder Berliner Mauer) – wertlose Schutzeinrichtungen an der mexikanischen Grenze? Worin besteht der Nutzen, aus langjährigen internationalen Verträgen auszusteigen, langjährige Alliierte zu verprellen, die Armee trotz drastisch steigender Militärausgaben vorzeitig aus Kriegsgebieten zurückzuziehen, die ganze Welt mit überraschenden Annäherungen, Anfeindungen, Angeboten und deren plötzlichem Rückzug zu irritieren? Worin liegt der Sinn, die Medien zur Lügenpresse zu degradieren und damit den Wert unabhängiger Berichterstattung und Information in Frage zu stellen?

Ja, da isser ja: der Sinn

Liegt das nicht auf der Hand, wenn man sich von der ebenso verführerischen wie naiven Vorstellung verabschiedet, Trump sei ein Idiot oder hänge seine Fahne in den Wind? Er habe mithin also gar keine eigene Vorstellung seines Handelns und seiner Ziele? Trump agiert nach demselben Prinzip wie die USA außenpolitisch seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Afrika, Afghanistan und Pakistan. Sie paktieren mit regional operierenden Warlords, wechseln die Allianzen, versorgen unterschiedliche Parteien mit Waffen und widersprüchlichen Informationen. Kurz, sie irritieren, stiften Verwirrung und schwächen die Staatsgewalt. Und sie tun das nicht aus Dummheit oder Opportunismus, sondern getreu dem bereits im römischen Reich praktizierten Imperativ „Divide et impera“ (lat. für teile und herrsche). Wobei mehr spalten als teilen gemeint ist, sprich, Uneinigkeit, Misstrauen und Konflikt zu schüren, um ein Ordnungs- und Gewaltmonopol aufzubrechen oder die Machtkonzentration potenzieller Feinde zu verhindern.

Deutschland – die „ungestillte“ Gesellschaft

Wir Deutsche sind Großmeister in dieser Disziplin, wenngleich auf der Generationenebene. Binnen eines Jahrhunderts haben bei uns zwei Weltkriege, die 68er-Bewegung mit ihrer Trau-keinem-über-30-Ideologie, das Ende der DDR und nicht zuletzt die Agenda 2010 das Vertrauen in die Integrität der Eltern- und Großelterngeneration sowie der Fürsorge des Staates gleich mehrfach zerstört. Das Ergebnis: eine Nation von weitgehend auf wirtschaftliche Bedürfnisse ausgerichteten Rationalisten mit wenig emotionaler Kraft und Solidarität sowie ideeller Inspiration, um Fremde und Fremdes langfristig einzubinden und gemeinsam übergeordnete Ziele zu verfolgen. Eine „ungestillte“ Gesellschaft, eine Verwaltungs- statt Gestaltungsdemokratie. Aber immerhin, auf die Notwendigkeit staatlicher Autorität, die Bedeutung funktionsfähiger staatlicher Organe, eines vernünftigen Umgangs mit Finanzmitteln und des staatlichen Gewaltmonopols sowie das Rechtsstaatsprinzip können wir uns weitgehend einigen.

Nur die Starken können sich einen schwachen Staat schaffen

Das sieht bei Donald Trump ganz anders aus, und das ist aus seiner Perspektive auch absolut richtig. Der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Abgeordnete Wolfgang Thierse hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk 1999 den bemerkenswerten Satz gesagt: „Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leisten, die Schwachen brauchen einen starken, einen handlungsfähigen Staat.“ Spätestens wenn wir diesen Satz auf Donald Trumps Aussagen und Entscheidungen anwenden, fällt uns unsere Naivität und Arroganz auf die Füße und Donald Trumps Konsequenz und Kaltschnäuzigkeit nötigt einem fast Respekt ab.
Donald Trump handelt absolut rational und aus seiner Perspektive vollkommen richtig, wenn er alles versucht, um am Ende seiner Administration einen Staatsapparat zurückzulassen, der wirklich nur noch zum Ausmisten taugt. Die Staatsverschuldung wird so aberwitzig hoch sein, wie übrigens auch schon bei Georg W. Bush, dass für die Folgeadministration kaum Gestaltungsspielraum bleibt. Sie wird dann weitgehend mit Reparaturmaßnahmen beschäftigt sein und so vermutlich die nächste Wahl schon wieder an den nächsten Donald verlieren. Das amerikanische Volk wird schlimmer denn je in reich und arm, schwarz und weiß, Land und Stadt gespalten sein. Er wird Dutzende, wenn nicht Hunderte intelligenter Köpfe, die bereit und in der Lage waren und wären, politische Verantwortung zu übernehmen, verschlissen, nebenbei auch noch der Reputation der beiden großen Parteien enormen Schaden hinzugefügt haben. Er wird viele Behörden, aber auch die gesamte Gerichtsbarkeit und die Geheimdienste in ihrer Arbeit und Glaubwürdigkeit so dramatisch beschädigt haben, dass es sehr schwer und teuer werden wird, auch nur einen Teil davon zu restaurieren. Das Vertrauen der Bürger in ihre Institutionen sowie den Rechtsstaat wird weiter sinken, was nichts Gutes vermuten lässt in Sachen Waffengebrauch. Die Medien werden lange brauchen, um ihren Ruf wiederherzustellen und als glaubwürdige vierte Gewalt im Staate wieder als Kontrollinstanz zu gelten.

Paradoxe Intervention

Kurz, der US-amerikanische Staat wird zum Gottserbarmen schwach sein und damit ein Tummelplatz und gefundenes Fressen für alle Starken – und nichts anderes war immer Donald Dealmaker Trumps Ziel. Dass es ihm mit seinem „America first!“ jedoch gelungen ist, nun ausgerechnet die Schwachen zu entscheidenden Kollaborateuren und sich zum Präsidenten zu machen, ist so paradox, dass man es eigentlich nur als eines bezeichnen kann: genial!

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

DENK-BAR Blog gut gemischt