Heirs for future

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Die junge Generation ist nicht Opfer der sorglosen und konsumgierigen Alten, sie hat ihre Zukunft selbst in der Hand.

Aktuell

Die junge Generation ist nicht Opfer der sorglosen und konsumgierigen Alten, sie hat ihre Zukunft selbst in der Hand.

Von Peter Köpf

Auf dieser Erde leben zweifellos mehr Benachteiligte als Kinder des Glücks. Tatsächlich gibt es auch in Deutschland allerlei Gründe, sich zurückgesetzt zu fühlen: für Menschen mit Kindern und solche ohne, für Menschen mit alternativer sexueller Orientierung oder Religion, mit Handicap und ohne ausreichendes Einkommen. Inzwischen soll es schon Männer geben, die sich benachteiligt fühlen.

Neuerdings allerdings fühlt sich eine ganze Generation ungerecht behandelt – mehrfach. Wie stand es kürzlich (am 31. März) in der Süddeutschen Zeitung? Die Jungen haben – erstens – „den schwarzen Peter“ beim Klimawandel, den sie „ausbaden müssen“, weil die Älteren durch ihre „sorglose Produktions- und Konsumweise die Erderwärmung (mit-)verursacht“ hätten und den Preis auf die Nachgeborenen ablüden. Die Jungen sind – zweitens – belastet durch den Generationenvertrag, weil sie „pro Kopf immer mehr Älteren den Ruhestandfinanzierenmüssen“. Und jetzt – drittens – komme auch noch die Viruspandemie hinzu, in der „der riesige gesellschaftliche Schutzaufwand“ in erster Linie den Älteren zugutekäme, die Jüngeren aber „das sich jetzt auftürmende Schuldengebirge abzutragen haben“. Mit anderen Worten: Die Alten lebten auf Kosten der Jungen.

Das greift zu kurz. Natürlich darf, wen der Zufall in einen Slum in Mumbai, ein Township in Südafrika oder eine Favela in Rio geworfen hat, sich über Gott beklagen – oder wer auch immer die Schicksale auf die Seelen verteilt. Aber junge Wohlstandsbürger der Ersten Welt sollten sich nicht selbst zu Opfern der Alten erklären oder erklären lassen.

Stellen wir ein paar Fragen über den sorglosen Konsum der Alten: Wie viele der heute 80-Jährigen nutzten in ihren Zwanzigern Flugzeuge? Speisten in Restaurants? Leisteten sich mehrere Urlaube jährlich, von Wochenendstädtetrips nach Barcelona oder Riga ganz zu schweigen? Hatten ein Telefon (nicht Smartphone, sondern so ein Ding mit Wählscheibe und Schnur, das besichtigen kann, wer ins Technikmuseum geht oder der Queen beim Telefonieren zusieht) und ein eigenes Auto? Für globalisierte Zwanzigjährige von heute sind all das Selbstverständlichkeiten.

Ein Wort auch zum Thema Klima: Smartphones, Streamingdienste und Elektroroller nutzen zuvörderst junge Leute, neue Technik, die alle Stromeinsparungen durch technische Innovationen auffrisst. Die Generation Erasmus bleibt natürlich auch nicht zu Hause auf der Scholle sitzen, das wäre ein Widerspruch. Klar ist: Auch die Jungen von heute leben zeitgerecht. Auch sie werden neue Möglichkeiten nutzen, statt sich selbst zu beschränken. Das ist ihr gutes Recht, ganz wie es das der Großeltern war.

Womit wir bei den Renten wären: Die mehr als 18 Millionen Rentnerinnen und Rentner von heute haben zum Teil noch den Krieg durchlebt, alle (wirklich!) hart malocht, um Deutschland zu dem zu machen, was es ist – im Guten wie im Kritikwürdigen. Wer arbeitete bis weit in die 1960er-, in vielen Branchen 1970er-Jahre hinein bei wöchentlicher Regelarbeitszeit von 48 Stunden (plus Überstuden)? Und wer hat durchgesetzt, dass Papa samstags den Kindern gehört?

Viel Geld und viel Anerkennung

Den meisten der angeblich Sorglosen von gestern und – ebenfalls angeblich – Sorgenlosen von heute wurde im vorigen Jahr ihre Lebensleistung mit durchschnittlich nicht einmal 1000 Euro Rente vergolten – Männer rund 1200, Frauen weniger als 800. Diese Älteren und Ältesten sieht man selten auf Kreuzfahrtschiffen. Wer von den Jungen ihnen vorwirft, auch selbst am steigenden gesellschaftlichen Wohlstand partizipiert zu haben, der werfe den ersten Stein.

In Wahrheit trennt die Menschheit auch heute nicht Alt und Jung, sondern noch immer Arm und Reich. Es beginnt mit der Geburt und – trotz der Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems – der dadurch determinierten Bildungs- und schließlich Berufschancen. Wer aus einem Gutverdiener- und Bildungshaushalt kommt, lebt tendenziell besser: Schüleraustausch und Bildungsreisen, sorgenloses, elternfinanziertes Studium, höhere Gehälter, attraktiver Beruf.

Natürlich gibt es auch unter denen, die von Gott oder vom Schicksal begünstigt waren, gleiche und gleichere. In „Mad Men“ beklagte sich Peggy, dass Don Draper ihr nie für ihre Arbeit danke, ihr nie Anerkennung zolle. Er antwortet erbost: „That’s what the money is for.“ Aber die Drapers vergessen, dass sie beides bekommen: viel Geld und viel Anerkennung. Überall auf der Welt besteht noch immer die Ungerechtigkeit, dass die meisten im Schweiße ihres Angesichts arbeiten müssen, während andere nicht nur jene, sondern auch ihr Geld für sich arbeiten lassen (und den Gewinn vergleichsweise günstig versteuern). Inzwischen haben wir gelernt, dass ein hohes Einkommen kein zwingender Nachweis für Systemrelevanz ist – und für die Malocher in Altenheimen und Supermärkten Anerkennung keine taugliche Währung. Angebracht wäre deshalb eine Debatte, weshalb die eine Arbeit so viel besser honoriert wird als die andere.

Ebenso dringlich wäre wegen der Zukunftssorgen der jungen Generation eine neue Debatte über eine angemessene, gerechte Erbschaftsteuer. Deutsche Privathaushalte verfügen über ein Vermögen von mehr als elf Billionen Euro, den reichsten zehn Prozent gehört mehr als die Hälfte davon, die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt fast nichts. Der Staat ist mit knapp zwei Billionen Euro verschuldet (pro Kopf der Deutschen also fast 25.000 Euro). Die Schieflage ist offensichtlich.

Zeit für ein Zeichen der Solidarität

Jährlich werden in Deutschland weit mehr als hundert Milliarden Euro privat vererbt, 2018 laut Statistischem Bundesamt 117 Milliarden Euro plus knapp 30 Milliarden als Schenkung. Auf mehr als drei Billionen Euro schätzt das Amt die Gesamtsumme für den Zeitraum 2015 bis 2024, davon 1,5 Billionen Euro Geldvermögen, 1,3 Billionen Immobilien (ohne Firmenvermögen).

Diese Erben arbeiten selten im Friseursalon, im Alten- und Pflegeheim, im Callcenter oder als medizinisches Hilfspersonal. Was spricht gegen eine Initiative der künftigen Erben für höhere Besteuerung von Erbschaften? Heirs for Future. Es ginge darum, Angehäuftes dem Staat anzuvertrauen gegen das Versprechen, damit in die Zukunft zu investieren. Damit ließe sich Erstaunliches erreichen: mehr Gerechtigkeit beim Einstieg ins Leben und in der Folge beim Money – und nebenbei könnten das Klima gerettet, die Rente gesichert und trotzdem die Staatsschulen eingehegt werden. Das müsste im Sinne aller sein, vor allem der jungen Leute. Die Reichen unter ihnen, die Erben, könnten ein starkes Zeichen der Solidarität setzen, indem sie zugunsten der übergeordneten Ziele auf einen kleinen Teil ihrer Privilegien verzichten.

Erschienen im „Rotary Magazin“, Mai 2020

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